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Der achte Alte

Leithandschrift
Ka1 Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. St. Georgen 64
Kontrollhandschriften
Ka2 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Donaueschingen 241
Ka3 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Donaueschingen 242
St3 Stuttgart, Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. 2° 144

Der achte Alte


1

[1] | (24ra) Der ahtende alte wiset dich und leret dich von goͤttlicher minne


2

[1] Hant dich, minnende sele, min gesellen vor mir geleret vil guͦter wisunge, damit du das ewig leben besiczen mahte, kúnde ich denne, ahtender alte, dich, geminte sele, wol leren, wamit sich gott innencliche in dich verainen mag und dich in sich minnenclich geformen mag und verbilden. [2] Das muͦste ich zuͦ bringen mit dem edlen bant der minne, davon du minneriche sele den namen hest, daz man dir sprichet 'geminte sele'. [3] | (24rb) Won von der minnen sprichet sanctus Paulus in siner epistel ainer: 'In minne sont ir gewúrczelt und gegrúndet sin, das ir mit allen hailigen begriffen moͤgent, was die lenge, die braite, die tieffe gottes sie.' [4] Und davon sprichet Augustinus von lobe der minne: Ist die wurczel der minne nút in dir, so maht du kain guͦtes werke nit volbringen. [5] Dem glich sprichet Gregorius in ainer omelie: Alles daz gott ie gebotten het, daz ist alles gewurczet und gefestnet in minne. [6] Und darumb so sprichet sanctus Johannes, der geminte júnger, in siner canonica: 'Gott ist die minne, und der in minne belibet, der belibet in gott und gott in ime.' [7] Darumb ich achtender alte lere dich, geminten sele, daz du alles din leben in minne solt wurczen, us minne solt wahsen, mit minne solt lǒn wúrken und in minne beschliessen. [8] Won es sprichet Ysidorus in dem buͦche von dem hoͤchsten guͦte: Minne het den pris ob allen tugenden und ist ain bant der volkomenhait, won si volbringet alle werke nach goͤtlichem wol gefallen. [9] Der lerer von dem gaist und der sele sprichet: Minne ist ain wege von gott zuͦ dem menschen und von dem menschen | (24va) zuͦ gott wider umb. [10] In minne ist gott mensche worden, mit minne wirt der mensche in gott gaistlich verainet und geborn und vergoͤttet und verhaimlichet; und belibet gott bi nieman, denne der mit im durchsettet ist.


3

[1] Voran solt du, minnende sele, wissen und merken gar wol, waz minne sie. [2] Es sprichet Paulus in siner epistel ainer: 'Minne ist ain ende der gebott von ainem lutern herczen und ainer guͦten consciencie ǎne betrogen geloben.' [3] Das ist als vil gesprochen: Minne ist ain volbringen und ain beschliessen aller goͤtlichen gebotte von ainem lutern herczen, ainer ganczen vernúnftikait. [4] Won der gott ie me und ie me verstǎt und waiss, was er ist, der minnet gott ie bas und ie bas und me und me. [5] Und der in minne het guͦt consciencie, der het zuͦ gott guͦt zuͦversicht ǎne allen betrognen glǒben, der niht kranck noch brúchenlich sie und alle zit fest und stark sie. [6] Es sprichet Prosper in dem buͦch von dem schowenden leben: Minne ist ain gerehter wille, der von allan irdischen und gegenwúrtigen sachen gekeret ist und gott unschedlich inne ist als ain hiczig fúre, das | (24vb) durch den hailigen gaiste entzúndet wirt. [7] Minne ist aller unsuberkait ledig und frige und aller súnden unwissent und aller boͤser wandelberkait unbehenket und ist úber alle liplich begirde, und aller begirde ist sú die obrest und die hoͤhste. [8] Minne ist goͤtlicher schǒwe alle zit begirig und des aller hoͤchsten flissig. flissig [9] Minne ist ain gelúcke der sitten, ain himelsch leben und ain tode aller súnden. [10] Minne ist ain beginnen, ain mittel und ain beschliessen, aller tugenden ain sterki und ain úberwinden alles strites und aller anfehtunge ain vertriberin. [11] Minne ist dem saͤligen ain verdienunge und ain ursach und ain volbringen alles lǒnes. [12] Ǎn minne mag gott nieman wol gevallen, mit minne mag got nieman missevallen. [13] Ǎne goͤtlich minne súndet ain ieglich mensche, mit goͤtlicher minne kan noch enmag nieman gesúndan. [14] In minne siht man gott; empfindet man got in minne, so núszet man got, und in minne werdent alle guͦte werk volbraht.


4

[1] Lerne minne erkennen, ze úbende und volbringen. [2] Waz du denne wúrkest, da mag dir nit an misselingen. [3] Won es seit Augustinus in dem buͦch von den sitten der cristenhait: Es ist | (25ra) nút als herte und als stehlin, das fúr goͤtlicher minne múge es wol erwaichen und koͤnne und múge es fuͤgen zuͦ gotte nach dem aller besten. [4] In dem buͦche von dem ruͤmen der minne ruͤmet Augustinus die minne und sprichet: In minne ist der arme rich, ǎn minne ist der riche arm. [5] In durchaͤhtunge ist die minne vertregenlich, in geluste ist sú messig und in widerwaͤrtkait gedultig. [6] In scharpfem liden ist minne stark und kreftig und in guͦten werken froͤlich. [7] In zitlichait ist si die aller richest und in gastlichait die miltest. [8] Under bruͤdern und under swestran ist minne zuͦtaͤtig und under den verkerten und endelichen ist sú ledig. [9] Abel, dem was minne ain liplich opfer, Noe in der sin fluͦt ain zuͦfluͦht und ain sicherhait. [10] Abraham, dem was minne der groͤste troste. [11] Moyses was si der beste hort, Davit daz groͤste glúcke. [12] In Susanna was si kúnschekúnsche und in Anna was si rain. [13] In sant Pauls was si diemuͤtig und in sant Petern gehorsam. [14] In Marien, gottes muͦter, was si hailig und goͤtlich, in Jesu Cristus waz si erkennelich úber alle sin erwelten. [15] Minne ist aller propheten ussprechen, aller hailgen sacramente ain leblichú kraft, aller menschen haile | (25rb) und ain fruht des ewigen lebens und ain ewig niessen goͤtlicher clǎrheit. [16] Wer alle sacrament het ǎn minne, der mag boͤs werden; wer aber minne het, der mag niemer boͤs werden. [17] Minne allain úberwindet alle ding, und ǎne minne sint alle sachan unverfangen. [18] Dis sprichet alles Augustinus und het iecliches wort ain maͤnigvaltigen sin in im beschlossen von der goͤtlichen minne.


5

[1] Bernhardus úber der minne buͦch giht: Minne ist ain grosses guͦt in irem usfliessen us gott. Si ist aber noch groͤsser, wenn der mensche mit minne in gekeret wirt in das beginnen, darus minne entspringet und wider flúszet. [2] Won der mensche in dem ursprunge enpfahet in minnen alles, des er begert. [3] Dis leret Jesus Cristus in sant Johannes ewangelio und sprichet: 'Der mich minnet, der behaltet die lere der minne, den minnet min vatter, und komen wir zuͦ im und gewinnen ain ewig wonunge bi im.' [4] Unser herre wiset úns minne ze hǎn und ǒch ze volgen und darinne leben fuͤr alle ander tugent, darumb daz die minne gott ist, und der mensche mit minne gott gliche geformet wirt, als Johannes sprichet in siner epistel. [5] Minne ist die aller wirdigest tugende, won koͤnigen unde kaisern ist si gelich berait, sprichet | (25va) Bernhardus von dem schowenden leben. [6] Gregorius in siner lere sprichet: Minne, die ist die aller kostberest tugent, wan si kan nieman volle scheczen noch vergelten von úberwirdikait wegen. [7] Es spricht Bernhardus úber der minne buͦch: Minne ist fuͤr alle tugende die schoͤnste, won kain tugend erlúhtet die sele als gar zartlich mit aller volkomner gnade, als si tuͦt. [8] Sant Augustinus sprichet: Minne die aller vertregenlichest ist in aller arbait, won arbait machet si lihte. [9] Als Augustinus sprichet: Minne ist die sterkest und die kreftigest in allen tugenden, won si úberwindet alle ding und ist sterker denn der tode. [10] Hugo sprichet von dem ruͦme der minne: Minne ist die aller zúhtigest, won hest du minne, so tuͦ, was du wellest, daz ist alles núcze und wol getǎn. [11] Bernhardus spricht: Minne ist vor allen tugenden die aller suͤsseste, won in irem wúrken so machet sú úns gott lustig nit allain hie in zit, joch doͤrt in dem vatter lant, daz ist in ewikait. [12] Und davon so sprichet Hugo in dem buͦch von der minne: Ich enwais, was ich groͤsser wirdikait und lobe von minne sagen sol, denne daz si gott zuͦ dem menschen verstricket het | (25vb) und den menschen zuͦ gott verheftet und verbunden het. [13] Minne het gott belder úberwunden, daz er sich in menschait ergeben het, denne sich der mensche in gott welle fuͤgen. [14] Minne hailet alle gebresten und alles unkrute und wurczele der untugende rútet si us. [15] Minne ist aller tugent ursprunge und erlúhtet daz gemuͤte und rainget die conscienci, si froͤwet die sele und zaiget gott. [16] Und in welher sele minne wonet, da jaget und rútet sú alle untugende murczes usz der sele. [17] Sanctus Paulus in siner epistel sprichet von rome der minne also: 'Retde ich aller engel und menschen zungen und hǎn nit minne, daz ist ain uppiger hal als ain glogge, die nit klanges hat. [18] Und han ich alle wissagunge und wais alle haimlichait und hǎn alle kúnste und gelǒben, so verfahent sú mich nit ǎn minne. [19] Und gib ich all min habe armen lúten und minen lip dem fúre, so tougent es mir ǎne minne zemale nút. [20] Minne ist gedultig, ist guͤtig, nieman verbúnstig, nit úbermuͤtig und wirket nit ungerehte und suͦchet nit iren nucze, sunder daz lobe gottes.' [21] Dis alles sprichet Paulus apostolus. [22] Won nu minne als gar vil edler guͦter schecze in ir selber beschlossen | (26ra) hette, das ir nieman gelich ist under allen tugenden, so sol dich, minnende sele, niemant von minnen schaiden, weder wasser noch fúre noch swert noch tode noch kainerlai fraise, so iemant kan erdenken, Paulus sprichet in der vorgenanten epistel. [23] Darzuͦ so sprichet och Seneca in sinen sprúch worten: Es ist núcz als scharpfe noch als widerzaͤme, ain volkomner minner moͤge es alles wol geliden. [24] Und wer minne nit enhet, dem sint alle ding swere ze wúrken und ze úbende.


6

[1] Bis her hǒn ich ahtender alte dich, minnende sele, bewiset von dem lobe und ruͦme der minne. [2] Aber nun lere ich dich, wie du gott mit minne von innen und usnen úber alle dinge minnen solt. [3] Won es sprichet die ewig warhait Jesus Cristus in dem ewangelio: 'Du solt gott minnen von allem dinem herczen, von allem dinem gemuͤte, von aller diner sele, von allen dinan kreften.' [4] Won daz ist daz aller erste und das groͤste und hoͤhste gebotte, darinne all ander geseczte volbraht werdent, und der es behaltet, der gesiht den tode nit und lebet mit gott ewiclich. [5] Dis hailige und daz hoche gebotte, | (26rb) daz verstande also: Du solt gotte minnen von allem dinem herczen, won er ist der erste und der júngste, der vor allen dingen und nach allen dingen allain ze minende ist. [6] Du solt in minnen von allem dinem gemuͤt, won er ist der aller herlichest und mehtigest, der in allen sachen in rehter minne voran ze scheczende ist. [7] Och minne in in allen kreften diner sele, won ǎne in ist núcz und in im sint alle kreft beschlossen. [8] Och minne in in allen dinen kreften, won er aller wesenhait uffenthalt und leben ist ǎne ende. [9] Du solt gotte minnen von allem dinem herczen, won du ǎne in weder guͦten willen noch gedenk maht hǎn. [10] Minne in von allem dinem gemuͤtte, won ǎne in, so kanst du noch enmaht du kain guͦt werke vollebringen. [11] Minne in von allen kreften diner sele, won vernúfte, willen und gedenknússe het er in din sele geseczet. [12] Minne in och von allen dinan kreften, won libe und sele, din nature und leben hest du alles allain von im. [13] Du solt in minnen von allen dim herczen, won siner minne mag nieman in zit gesettet werden. [14] Minne in von allem dinem gemuͤte, won sin minne git hailikait unde saͤlikait. [15] Minne in in diner sele, | (26va) won in ze minnen, daz ist daz aller núczest und lustigest und daz aller beste. [16] Minne in von allen kreften, won in im alles niessen ǎne ende und ewenklich ist beslossen. [17] Minnest du in also, so gebristet dir núcz und bist saͤlig.


7

[1] Es sprichet Anshelmus, das die vernúftig creatur darumbe von gott geschaffen ist, daz si die hoͤhsten istikait minnen sol úber alle guͦt sachen und nút anders denne si und durch sú, won sy ist itel guͦt von ir selben, und was guͦt ist, daz ist guͦt us ir. [2] Wenne du wellest anvahen gott ze minnende, so habe voran ainen smerczen, der gar grosz sie in dinem herczen von aller der schulde und súnde, die du volbracht hest, und ain missvallen dines lebens und ain fúrsacze, der gancze und gerehte sig, daz du fúrbas in schulde und súnde nit me vallen wellest. [3] Won es sprichet Augustinus und mit im Bernhardus: Wa minne anvahet, da muͦs alle schulde und súnde entwichen, won minne und schulde múgent sich bi enander nit liden. [4] Darnach solt du in allem dinem gemuͤte mit gelúste gern hoͤren reden von dem aller obrosten guͦt, ez sie in infliessunge goͤtlicher vermanung | (26vb) oder in betútunge der hailigen geschriffte oder uszlegunge seligricher lere. [5] Won es sprichet Gilbertus Poretanus úber der minne buͦch: Die minne waffent sich von innen und von usnen mit hailigen worten als mit ainem schilte, damit man vil slegen des boͤsen gaistes entrinnen mag, daz die minne út geirret werde. [6] Och sol din sele ǎne underlǎs berait und snelle sin, alle guͦte werke ze volbringen. [7] Won es sprichet Gregorius úber Johannes ewangelium, daz die minne niemer muͤssig ist, won sú wúrket grosse werke, da sy ist; erweret si sich aber wúrkens, so ist sú nit minne, won ain beweͣrunge der minne ist ain erzoͤgunge der werke.


8

[1] In allen dinen kreften sol die minne ain truren hǎn von gaistlichem abnemen und von gebrestenlichen sachen. [2] Won es sprichet Dyonisius von der engelschen jerachie, das der minne bant ist ain verainte kraft mit gotte und begert alle dinge zersmelczent in ain goͤtlich undertaͤnikait verainen. [3] Reht und gancz und úberswenkig minner und minnerin sint die, die ǎne underlǎs von got, in got und us | (27ra) gott betrahtend das aller beste, und ir hercze und ir gedenke und ir gemuͤte ungeschaiden ist von gotte. [4] Si hoͤrent mit grosser begirde von gott reden. [5] Sú redent selber mit inbrúnstigem geluste von gott. [6] Sú dienend gott ǎne alles verdriessen. [7] Sú wagant lip, sel, guͦt und ere und alles, daz sú gelaisten múgent, durch gottes willen noch schonent noch vertragent ir nature núczit úber al. [8] Si betruͤbent gott nit und begerent im ǎne underlasze wol gevallen. [9] Si froͤwent sich goͤtlicher gegenwúrtikait und trurent von siner onunge . [10] Si minnent alles, daz gott minnet, und fliehent und hassent, daz gott hasset und widrig ist. [11] Si begerent, daz gott von in ain benuͤgen habe, und fúrhtend im missevallen. [12] Si sint gott dankber siner gaben und volgent sinem lieplichen insprechen. [13] Sú hǎnt ain gancz wolgevallen in allen sinan werken und begerent niemant ze dienant denne im allain oder den creaturen bloͤslich durch sinen willen. [14] Sine goͤtlich gebotte behaltent sú mit flisze und legent alle ir zuͦversiht in in genczlich und ane underlǎsz. [15] Sterben und genesen ist in glich durch gott und umb gott und gott ist in allain alle dinge. [16] Wer dis aigenscheffte het an im, der ist | (27rb) ain rehter volkomner minner und ist nach gottes willen wol geformet und gebristet im nút, daz zuͦ goͤtlicher minne gehoͤren mag.


9

[1] Es spricht Bernhardus in ainer epistel: Minne git frihait und vertribet vorhte. [2] Si enpfindet kainer arbait und siht kain verdienan an und ahtet kaines lones und tribet doch mit ir hicze als gar geswinde den menschen in gott, das weder flis noch lone noch solde, gelúbde noch gerehtikait noch liden den menschen als kreffteclich in gott gejagen mag. [3] Endlich und ernstliche minner hant in herczen innig súfczen und hohe begirde und jamer nach dem geminnten. [4] Won ez sprichet Lynconiensis úber die engelsch jerachie: Hailig menschen, mit begirlichen achzen und súfczen hebent ir herczen in gott, daz inen troste und geluste und froͤde diser welte ist ain pin und liden, won die aller obrest istikait, darnach si jamert, ist in allain ain volriches benuͤgen.


10

[1] Ernstlich und endlich minner hant in gemuͤte siech und kranke gedenke. [2] Wan ez spricht Fulgentius an siner predige ainer: Es ist notdúrft, wa der schacze der minne vor gangen ist, daz die geminnten | (27va) ainen senenden jamer nach im haben mit minnesamer kraftlosekait. [3] Won unser herre sprichet in dem ewangelio: 'Wa din schacze ist, da ist ǒch din hercze.' [4] Volkomen minner hant och ain verdrossen biten, won als balde si gottes suͦssikait in der inwendikait der sele empfindent, so erbaitent sú kume, bis si in ergriffen. [5] Won es sprichet Richardus von dem schowenden leben: Den rehten minner dunket alle stunde ze lang und alles baiten swere, bis er veraint wirt mit sinem geminten. [6] Herlich minner werdent mit allen kreften geseczet us aller ir krafte und joch úber kraft in ain froͤmde ir sinnen also, daz sú ir selbs nit enpfindent. [7] Won es spricht Bernhardus in dem buͦche von den botten: Ains rehten minners gaist ist me da, da er minnet, denne da er gaistet, won er lebet der minne me denne sin selber. [8] Und sprichet Paulus in siner epistel von dem selben minner: 'Ich lebe, nun und nit ich, nun Cristus lebet in mir.' [9] Von dem sinn lert vns Augustinus in ainer epistel und sprichet : [10] Wie ist die minne als gar grosz und mehtig, die ǒge nit gesehen mag, won si ist kain varwe, und die ore nit gehoͤren | (27vb) mag, won si ist kain hal, noch hercze úber klimmen mag, won sy úber stiget alle herczen. [11] Wir sient ir als vil empfengklich, als vil wir getrúlich geloben, vestenklich zuͦversiht han und inbrúnstiklichen begern. [12] Du solt gott minnen in dinem herczen unscheczenlichen und unverwandelt, won er ist allain der blos und luter gegenwúrffe, der sich von dem minner nit keren wil noch mag noch kan und hat dich geminnet, e du geborn wurd. [13] Du solt in minnen ǎne muͤde emseclich, won diner minne gewinnet er niemer kain verdriessen. [14] Won der in minnet, der het in, und der in het, der minnet und het in, also daz er in niemmer verlúret. [15] Es sprichet Origenes: Du solt och gott minnen úbertreffenlich, won der in minnet, der minnet alle ding, die sin sele gedenken kan und noch denne tusenstunde me. [16] Du solt och gott minnen mit allen dinen kreften und staͤticlich, won er ist allen den ain volriches benuͤgen, die da sint in himelrich und uf erde und in allen wonungen, won daz haischet und begeret gott allain von dem menschen. [17] Es sprichet Augustinus und Bernhardus mit ime, daz weder | (28ra) unzimlich und unzitlich noch unmúglich ist, in ze minnen vor allen dingen; und den allain minnen lǎs din troste sin, kurczwile und din froͤde. [18] In siner minne solt du din hercze zaichnen, din sele claiden, din gemuͤte verainen und alle din krefte soͤnd ewiclichen dabi beliben. [19] Volgest du disser lere, so gebrist dir kainer hailikait niemer, weder hie noch doͤrt.


11

[1] Ich achtender alte lere dich, minnende sele, wie du darnach dinen nehsten solt minnen und alle ander creature. [2] 'Won got minnen und dinen nesten - an den zwain gebotten lit aller buntnússe goͤtlicher geseczte', sprichet Jesus Cristus in dem hailgen ewangelio. [3] Wer sinen naͤsten minnet, der belibet in gott und siht gott. 'Der aber sinen naͤhsten, den er siht, nit minnet, wie mag der gotte minnen, den er doch nit gesehen mag?', sprichet Johannes in siner epistel. [4] Augustinus spricht in dem buͦche von der bihte: Selig ist der, der dich, herre gott, minnet durch din selber und den nesten minnet in dir und den viende durch dich, wan der mensche verlúret kain liebi, dem also alle dinge | (28rb) in gott und durch gott liep sint. [5] Er sprichet och úber sanctus Johannes ewangelium: Wir vahen gott mit alles unsers herczen begirde, ob wir mit flisse unsern naͤhsten minnen. [6] Mit der minne des naͤhsten wirt der mensche ain ganczer nachvolger gottes und Cristi, won es sprichet unser herre in dem ewangelio: 'Daz ist min gebott, das ir enander liep hand.' [7] Es ist zimlich und billich und ǒch rehte, daz ain mensche daz ander minnet in aller goͤtlicher liebi, darumb daz alle menschen von ainem gott geschaffen sint, sprichet Beda, darumbe daz wir alle sint gelider dez libes Jesu Cristi, der unser hopt ist, und och darumb daz wir ainen erloͤser an im hǎnt und darumbe daz wir von zwain menschen komen sint, von Adam und von Eva. [8] Darumb och sond wir minne zesamen hon, daz wir nach ainem riche stellen, darinne wir ewiclich úns versehen bi enander beliben, und ǒch darumbe daz wir mit ainem geloben werden behalten und och von vil andern sachen wegen, daz uns daz naturlich rehte leret. [9] Wan naturlich reht sprichet also: | (28va) Waz du wilt, daz man dir tuͤ, daz solt du ǒch dinem nehsten tuͦn. [10] Nieman hasset sich selber, also solt du dinen naͤhsten ǒch nit hassen.


12

[1] Augustinus leret in dem buͦche von der cristanlicher lere, daz du alle menschen gelich minnen solt, und wan du allen menschen nit gelich maht ze statten komen, so solt du doch liep und tugent und minne erzoͤgen ainem me denn dem andern, die sin notdúrftig sint und me wislos sint und in selber unbeholfen. [2] Er sprichet och úber der minne buͦche, daz man voran gott sol minnen fúr alle dinge und úber alle sach, als daz alles davor wol beschaiden ist. [3] Darnach sich selben sol der mensche minnen, aber nit ze ainem verderben, als der vierde alte vor mir wol geleret hǎt. [4] Darnach sol der mensche minnen sinen naͤhsten frúnde als vatter und muͦter, als die zehen gebotte lerent, und darnach swester und bruͦder und ander sin frúnde nach rehter ordnunge der sippeschafft; und och in der wise sol er die engel minnen. [5] Aber vor allen creaturen sol ain ieglich mensche von aller begirde sines herczen minnen gottes muͦter | (28vb) Marien und darnach alle hailgen und engel und erst darnach sinen naͤsten, und aller maiste under den, die die aller besten gottes frúnde sint und in cristam geloben sint. [6] Und nieman sol man minnen durch siner súnde willen, won gotte selber hasset alle súnder. [7] Aber alle creature sol man liep hon durch dez willen, der die creature dem menschen durch mǎngerlaye nucze willen geschaffen het. [8] Dis alles sprichet Augustinus und mit ime Ambrosius und Richardus und ander lerer, der vil ist.


13

[1] Aber der mensche sol sin viende liebe hǎn von volkomenhait des goͤtlichen gebottes. [2] Won ez sprichet unser herre in dem ewangelio: 'Minnent úwer viende und bittent fúr úwer durchaͤhter und verderber und tuͦnd gtlich und wol den, die úch hassent.' [3] Dem gelich leret úns unser herre in dem hailgen pater noster, da er sprichet: 'Vergibe úns unser schulde, als wir tuͦnd unsern schuldner.' Und darumb so lere ich dich, wer sin viende nit liep hette, der were nit ain rehter minner nach volkomnem leben. [4] 'Wan man sol sich ee versoͤnen mit sinen vienden, | (29ra) e daz man opfer zuͦ dem altar bringet', sprichet Jesus Cristus in dem ewangelio. [5] Du solt dinen naͤsten liep hǎn als dich selber also, daz du in minnen solt durch gottes willen als dich und im guͦtes gunnen in dem willen nach ainem ganczen benuͤgen und daz du in in kainer anderlayg wise anders liep hest, denn daz du im gunnist, dez du dir selber ganst. [6] Won es sprichet Gregorius: Mit der minne, die du hest zuͦ dinem naͤsten, merest du goͤtlich minne in dir.


14

[1] Es sprichet och Dyas von den edelen gestainen, daz goͤttlich minne gelichet ist dem stain sardin, der da funden wirt in dem edelesten lande, daz uf erden ist, und ist och rǒt var und machet den menschen froͤlich und wol gemuͦt und vertribet alles truren und git konhait und dem gemuͤte vernúnftikait und vertribet trúgnúsze und zobrie und ist fúr alles gifte guͦte. [2] Der sardin ist die goͤtlich minne, die uns kumet von der aller edlesten statt, daz ist von dem himelriche und ist rotvar, won si ist daz fúre der hailigen drivaͤltikait und machet den | (29rb) menschen, der si het, als froͤlich und wol gemuͦt, daz er allain in gott jubilieret und contemplieret. [3] Die minne vertribet truren und git konhait, daz si nit enahtend dez nesten fraise und widerwertikait, und ist koͤne und veste in allem liden und vernúftig, daz si iren viende kan minnen als iren frúnde. [4] Sú vertribet trúgnússe und zobrie, daz ist anvaͤhtunge boͤser bekorunge, und behuͤt den menschen vor aller gifte, das ist vor allen súnden, die in gottes geirren moͤhten.


15

[1] Hab minne liep vor allen tugenden, won alle tugende sint ǎne minne unverfangen, sprichet Augustinus. [2] Und der sinen naͤhsten nút minnet, der krenket goͤtlich minne in ym selber und mag noch kan gott nit minnen, seit Gregorius. [3] Aber Johannes Crisostonus der guldin munt sprichet úber Matheus ewangelium: Es ist ain guͤtig minne, die der mensche het zuͦ vatter und zuͦ muͦter und zuͦ allen sinen gebornen frúnden. [4] Aber die minne, die man het ze gesellen und gespiln, die ist froͤlich. [5] Die minne, die man aber het ze allen menschen, die ist | (29va) gerehte. [6] Die minne, die man het zuͦ vernúftigen creaturen, die ist nuczbarliche n, die man aber hett in den vienden, die ist fraͤvel und ist beczwungen, won ainen mensche muͦs sin aigen nature darzuͦ noͤtten, daz es sin viende minne. [7] Die minne, die man het zuͦ den toten, die ist erbarmherczig; die man aber het zuͦ unserm herren gott, die ist hailig. [8] Dis alles seit der guldin munt. [9] Es ist och notdúrftig, daz du die mainest in rehter ganczer minne, die da tot sint, als sú dir liep waren, do sú lebten, won es ist hailig fuͤr sie ze bitten, daz sú von súnden enbonden werdin, stǎtt geschriben in der stritter buͦch.


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[1] Merke nun wol, was bruͤderliche minne sie. [2] Daz ist pruͤderliche rehte minne, daz ainem menschen dez andern liden ze herczen gǎt als sin selbes liden und daz aines dem andern sin notdurft bessert, als vil es mag, und daz aines daz andern warnet an allem sinem schaden, guͦtes und och eren, und das aines das andern fúrdert an sinem fromen und nucze und ains dem andern gan, des es im selber gan, und aines das | (29vb) ander leret und wiset, was es selber guͦtes kan und vermag, und ains von dem andern straffunge gern lidet und ains dem andern gern untugent weret und tugend liebet und aines fúr daz ander bittet ernstlich, lebendig und tot, und ains fúr daz ander berait waͤre ze sterbende, ob es not taͤte, und daz ist daz aller volkomnest in der warhait. [3] Wer soͤlich minne het und liebe zuͦ sinem naͤsten, der ist volkomen hie in zit und wirt hailig und saͤlig in dem ewigen leben. [4] Das sprichet Hugo von sant Victor und hellent mit ime Augustinus und Bernhardus. [5] Die minne zaichen pruͤderlicher minne hǎt unser herre Jesus Cristus úns allen vor getragen als ain volkomner und rehter bilde trager, als an mengen stetten geschriben stǎt in dem hailigen ewangelio. [6] Und darumb sprach er zuͦ sinen jungern: 'Ir soͤnd enander minnen, als ich úch geminnet hǎn', als ob er spreche - betútet Gregorius úber daz selbe worte -: 'Ir soͤnd darumb minne zesamen hǒn, darumb daz ich úch geminnet hǒn, | (30ra) won min leben secze ich fúr úch, also tuͤge úwer ieclicher fúr den andern'. [7] Nu sprichet Bernhardus in der epistel von der minne: O du edele, starke und kreftige minne, du úberwindest alle ding, und mag dir nieman wider streben. [8] Dir sint alle dinge gehorsam, und bringest alle frúhte und veraingest den menschen gott und machest viend ze frúnde. [9] Dich mag nieman gehassen und darumb sol dich nieman miden. [10] Dis alles von minne lere ich achtender alte dich, minnend sele. [11] Volgest du mir, so wirst du wol wirdig des ewigen guldin trones.


Zitierhinweis

Der achte Alte. In: Otto von Passau digital, hg. im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Lydia Wegener, Elke Zinsmeister, Jens Haustein und Martin Schubert (2018-2022). Berlin. 03.03.2023

URL: https://otto-von-passau.de/chapter-detail.html?id=O8382074. Abgerufen am: 29.03.2024.