Editionskriterien

Der fünfzehnte Alte

Leithandschrift
Ka1 Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. St. Georgen 64
Kontrollhandschriften
Ka2 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Donaueschingen 241
Ka3 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Donaueschingen 242
St3 Stuttgart, Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. 2° 144

Der fünfzehnte Alte


1

[1] Ich fúnfzehender alte lere dich, minende sele, ain uͤbent leben und waz uͤbung si; darnach wie man sich uͤben sol in allen werken; darnach wie man sich zuͦ ainem wúrkenden leben wol verpflichten sol in vil wise.


2

| (114vb) [1] 'Propheten hand úns gewissaget, wenne Cristus kumet, der wirt úns alle ding kúnden', sprach die haidin zuͦ Jhesu Cristo uf dem brunnen. [2] Nun ist kumen Jhesus Cristus und het úns gekúndet, daz der wege enge ist, der da gǎt zuͦ dem vatter lant des ewigen riches. [3] 'Und gǎnd in lúczel menschen', sprichet únser herre in dem ewangelio. [4] Aber ich fúnfzehender alte wil dir, minende sele, den weg dez ewigen himelriches wite machen, daz du in wol gǒn maht zuͦ dem guldin trǒne und in besiczen nach allem wunsch, | (115ra) ob du miner lere volgen wilt.


3

[1] Ich fúnfzehender alte vinde in aller der welt nun zwai leben, die got von dem menschen wolgevallent. [2] Daz ain ist wúrkent leben, und daz wil ich, minende sele, dich leren, daz du den guldin trǒne damit gezieren maht. [3] Aber daz ander leben ist schǒwendes leben. [4] Daz wil ich minen nach kumen alten gesellen bevelhen ze lúttern. [5] Dise zwai leben hat únser herre Jhesus Cristus geuͤbet uf daz aller hoͤste, daz si getragen mochten bis in ir aller obresten stapfel. [6] Und davon sprichet er in dem ewangelio: 'Ich hǒn úch ain bilde geben, alz ich úch getuͦn hǎn, daz ǒch ir also tuͤgent.' [7] Aber nach Jhesu Cristo | (115rb) uͤbte sich nie mensche hoͤher in zit, sider die welt ie gestuͦnd, in uͤben und schǒwe n, alz Maria, gottes muͦtter, getuͦn het, alz vor mir von minem gesellen, dem zwoͤlften alten, wol durchgrúndet wart.


4

[1] Es hand die usserwelten frúnde gottes ain hailig underrede, ob uͤbent leben besser und núczer sie oder schǒwend leben. [2] Won es sprechent die lerer gemainlich, daz nieman ze schǒwendem leben kumen mag, er heͣbe sich denne voran geuͤbet in goͤtlichen werken, und darumb so ist wúrkent leben ain ursach und ain anvang des schǒwenden lebens. [3] Won es sprichet Gregorius in siner lere von den sitten: Der guͦtte werke uͤbet, waz tuͦt der anders, | (115va) denne daz er gǎt zuͦ dem ewigen leben. [4] Und die daz ewig leben suͦchent, wamit múgent si es vinden denne mit guͦten rainen und saͤligen uͤbenden werken? [5] Daz sprichet der und hillet mit im Beda úber sant Lucas ewangelium. [6] Es sprichet Propser in dem buͦch von dem schǒwenden leben: Wie wol schǒwend leben und wúrkent leben ungelich sind und wie ir pfade und stige gant, so kerent si doch in ain vatter lant. [7] Daz wúrkent leben hǎt ainen stetten flise, aber daz schǒwend leben hǎt ain ewig froͤde. [8] In wúrkendem leben gewinnet man daz riche, in schǒwendem leben bevindet man dis welt nút. | (115vb) [9] Mit wúrkendem leben versmahet man die welt, in schǒwendem leben sicht man got. [10] Augustinus redet von wúrkendem leben und von schǒwendem leben in ainer omelie úber sant Johannes ewangelium und sprichet: Die hailig cristenhait het ir zwai leben fúr geseczet und genumen ze predigent, ains ist wúrkend, daz ander ist schǒwen. [11] Und under den zwain leben ist aines in dem glǒben, daz ander in zuͦversieht; ains hie in dem weg alz ain bilgrin, daz ander dort im vatter lant in ewekait; ains in ainem uͤben guͦter werke, daz ander in dem niessen des | (116ra) lones. [12] Ains kert sich von boͤsem zuͦ guͦtem, daz ander het grǒs niessen. [13] Ains stritet mit fienden, daz ander stat in gesige. [14] Ains ist stark in widerwertekait, daz ander het kain widerwertikait. [15] Ains vichtet wider die gelúste des flaisches, daz ander stat muͤssig in gelústen. [16] Ains erweret sich boͤsser bekorunge, daz ander wirt von nieman bekort. [17] Ains bruͤffet guͦt und boͤsse, daz ander sicht alle zit guͦtes. [18] Gar vil ruͦmes leget Augustinus den zwain leben zuͦ, daz du, minende sele, merken solt, daz du nach in beiden stellen solt mit aller kraft, daz ist min rǎt und min lere. [19] Davon sprichet Origenes úber der minne buͦch: | (116rb) Wúrkent leben vahet sich hie an ze uͤbend in allen lobelichen werken, daz doch dem schǒwenden leben doͤrt belibet eweklich ze niessen. [20] Dem gelich sprichet Ysidorus von dem hoͤhsten guͦt: Wúrkendes leben ist ain unschuldekait guͦter werke, schǒwendes leben ist ain durchpruͤpfung der obresten dingen. [21] Wúrken ist gemainer den schǒwen, und da wurken der welt ab sprichet, da keret schǒwen in goͤtlichen wolgeluste. [22] Daz sprichet der und hillet mit im Gregorius. [23] Es spricht Origenes úber Moises buͦch: Got und sinen engeln geben wir ursach ze froͤden, wenne wir mit guͦten uͤbungen uf erden fuͤren ain himelsche leben.


5

| (116va) [1] Der nun ain guͦt und gereht leben mit wúrken uͤbet und uͤben wil, der seche an in dem werke den anvange und daz ende, sprichet Augustinus in dem buͦch von der stat gottes. [2] Den anevange sol er ansehen, ob daz werke nút boͤse sie und ǒch, daz daz werke ǎne súnde sie. [3] Ǒch sol er daz ende ansehen, daz daz werke in wúrken ie bas und ie bas zuͦ neme in minne, so ist daz werke guͦt. [4] Nun uͤbent sich etliche menschen mit wúrkendem leben, damit si der welt gelúste ledig stǒn wellent und sich von der welt vast brechent in vil wise. [5] Etlich uͤbent sich, daz si murczent und gar von der welt kerent und in klǒster varent. [6] Etlich uͤbent sich, | (116vb) daz si ainsidel werdent und in welde und in gebirge und in stain und in klosenen varent. [7] Etlich werdent willig arm und vil ellend, und versmehte lident, etlich, daz si swere und grǒs gelúbte tuͦnd, bis an iren tǒde ze haltent und swere verte ze den hailigen verre und nach ze gonde. [8] Etlich uͤbent sich mit kestegunge ires libes, mit vil wachen, mit hert ligen, mit úbel essen und drinken, mit boͤssen, swachen klaidern, mit hicze, mit kelti, mit gaisselen und mit vil andren disciplinen und grǒsser kestegunge des libes. [9] Etlich uͤbent sich mit gehǒrsame, mit demuͤtikait, mit ainvaltkait, mit | (117ra) warhait, mit gedult, mit mitliden, mit minne und mit gar vil ander tugenden. [10] Etlich uͤbent sich mit vastan, mit betten, mit almuͤsen gen und mit andren werken der erbermde. [11] Etlich uͤbent sich mit allem zitlichem guͦte durch got ze lǒn und iren lip vernihtent und ir sele hassent, daz dir, minende sel, der vierd alte vor mir von dem anvang bis an daz ende in siner lere wol gelútert het, wie wir alle ding durch got lǒn sollent - guͦt, muͦt, libe, sele, vatter und muͦtter und alle ding. [12] Etlich uͤbent sich mit guͦtten gedenken und betrahtunge ires herczen von dem liden Jhesu Cristi oder ander hailigen leben oder mit suͤsser innekait von goͤtlicher wirdekait. | (117rb) [13] Etlich uͤbent sich mit applǎs hollen und mit ander goͤtlichen und rainen werken, die alle selig und guͦt und got lobelich sind und dem menschen fruhtber, und alles ain wúrkent leben ist. [14] Selig were der mensche und volkumen, der dis alles volbreht mit ernst.


6

[1] Won aber du, minende sele, dis uͤbunge nit alle volbringen moͤhtest, so uͤbe dich in ainem oder in zwain oder in drin oder in als vil du múgest nach goͤtlicher gnade. [2] Belibe nun nút muͤssig in in allen, noch stand ir aller nút ledig. [3] Won es sprichet Gregorius in siner lere: Daz ist die arbait der gerehten, daz si alle zit guͤtte werke wúrken súllent und ir niemer muͤssig sin, ob der mensche zuͦ ewigem | (117va) lon kumen wil. [4] Es sprichet Ambrosius in siner epistel ainer: Der muͤssig und fule und trege ist an goͤtlicher uͤbung, dem git got nút sin ewig himelrich. [5] Es sprichet Hugo von sant Victor: Was du aber schuldig bist ze tuͦnd von gebot oder von gelúbte oder von ordenung, daz solt du alle zit vor verrichten, und darnach uͤbend leben anvahen, daz got loblich si. [6] Uͤbent leben leret úns got in dem ewangelio, da er sprichet: 'Du solt den hungrigen spissen, den durstigen trenken, den nakenden klaiden, den gevangen trǒsten, den siechen vor gǎn, den ellenden herbergen', und darzuͦ sprichet Thobias: 'den toten helfen begraben'. [7] Gre| (117vb) gorius sprichet úber Esechiels wissagunge: In wúrkendem leben solt du mit wishait den ungelerten leren und wisen, des er nút enkan, den verirten strǎffen, den hoffertiggen zuͦ diemuͤtikait wisen und flis zuͦ den armen siechen hǎn und was ieglichem fuͦglich si nach gottes lobe, da solt du dich zuͦ erbietten mit ernst. [8] Es sprichet Bernhardus in dem buͦch von der pruͤfunge: Ist din arbait hert und stark in diner uͤbunge, so sol dirs doch der lǒn ringe und liht machen, den du da von eweclich enpfahest. [9] Won des bǒmes fruht lit weder an bluͦmen noch an blettern und wirt alain von siner fruͦht geruͤmet, ob er guͦt si | (118ra) oder boͤsse, also folget des menschen fruht den werken nach. [10] 'Sine werke volgent dem menschen nach', schribet Johannes in der tǒgen buͦch. [11] Mit wúrkendem, uͤbendem leben so ist der ain volkumen mensche gehaissen, dem zemǎl nút gebrist, sprichet Ambrosius. [12] Und ist der gereht, der sich uͤbet in allen tugenden und der sin genuhtsame nút suͦchet fúr daz ewig leben, noch sinen nucze gibet fúr ain uͤbent und wúrkent leben, wie wol daz si, daz mengerlaige uͤbunge si, damit sich der mensche got lieben mag.


7

[1] So wil ich fúnfzehender alte dich, minende sele, under wisen, wie du dich in ainem wúrkenden leben uͤben solt nach goͤtlichem | (118rb) wolgevallem. [2] Es sprichet Augustinus in dem buͦch von den sitten: Daz aller hoͤhste uͤben, daz der mensche iemer getuͦn mag in allen goͤtlichen werken, ist, daz man got von allem herczen und in aller sele minne fúr alle ding und úber alles, daz gesin mag, und die minne unzerstoͤrlich belibe und behuͤtet werde, und der mensche ungebruchelich belibe in gemaht und in ungemaht gelich und munder und fúrsiechtig belibe und wol behuͦt si, daz er von kainem boͤssen betrǒgen werde. [3] Merke wol, daz es ist ain hailig wúrken, da du liden kanst úbel und alle widerwertekait und dich in aller sorge und angst nút schaidest von wol und reht tuͦn, won du solt nút | (118va) achten, waz du wúrkest, sunder lege allen dinen flise darzuͦ, warus du dich uͤbest - us was gemuͤtes, us waz willen, us was mainunge, us was herczen. [4] Und in dem wúrken lǎs nieman din gegenwurfe sin denn got allain oder aber creatúrlich bildunge durch gottes willen, alz vil si dich in got geziehent und gewisen múgent und nit anders, so wirt got din gehilfe in der uͤbunge, und volbringest dine werke nach goͤtlichem wolgefallen und nach lonberen diensten. [5] Won Augustinus sprichet úber sant Johannes: Guͦt uͤbunge nach dem schine mag man wol erzoͤgen us ainem boͤssen grunde, aber us ainem guͦtten gru| (118vb) nde múgent sich boͤsse uͤbunge niemer erzoͤgen. [6] Reht uͤbunge und goͤtliche werke ligent vil und vast daran, daz du aller der welt uppigkait zemǎl gancz und gar solt versmahen und ir ledig stǒn und dich huͤtten, daz du kainen menschen versmahest und solt dich selber versmahen und núczet von dir halten. [7] Du solt ǒch begeren versmehet werden von allermenglich und dich selber fúr núczet scheczen in den werken gottes, so bist du ain rehter uͤber, und was du wúrkest, daz gevallet got wol von dir sunderlich, ob got din grunt und gegenwurfe allain ist und ǒch anvang und ende, | (119ra) so bist du ain volkumner mensche nach allem wunsche. [8] Merk von Gregorius von siner lere in ainer omelie von den zwelfbotten: Waz man wol wúrket nach gottes lobe allain, daz ist ain fruht, die eweklich belibet und nieman geiren mag, aber wúrken nach weltlichen lǒffen, daz mag dem menschen kum ain benuͤgen sin bis an sin tǒt, und darnach so zerstoͤrt es der tǒd ǎne alle fruht, und darumb, alle werke uͤben durch got ist aller best. [9] 'Du solt dich uͤben', leret sant Paulus in siner epistel ainer, 'in mine, in froͤde, in fride, | (119rb) in gelúbte, in liden, in guͤtekait, in langmuͤtekait, in zuͦtetikait, in glǒben, in messekait, in kúschekait. [10] Und die Cristo zuͦgehoͤrent, die sond iren lip crúczigen mit untugent und mit bǒshait und mit allem liden.' [11] Und sol ieglicher sin aigen werke versuͦchen, so gewinnet er von im selber ere vor got und nút von ainem andern. [12] In guͦten werken solt du dich gern uͤben, won es sprichet Origenes úber Moyses buͦch: Also sich ie gerner der mensche uͤbet, also sin uͤbung sich ie bas und bas uͤbet und meret. [13] Und wenne die sel mit dem funken goͤtlicher werke enzúndet wirt, so wil si nút muͤssig | (119va) gǎn noch ruͦwen und wil zuͦ guͦtem, ze besserm und besserm gan, und zuͦ dem aller besten und hoͤhsten wil si gahen, da si allain vindet ir benúgen, durch des willen si sich uͤbunge durchlitten het. [14] Din uͤbung sol sin zuͦ dir selber, sprichet Hugo von sant Victor in dem buͦch von dem clǒster der sele, in allen tugenden, die du von innen und von ussenen erzoͤgen kúnnest und múgest in alle wise. [15] Si sol ǒch sin mit allem flise und ernst ze dinen nehsten, in alle hilflichait geben und leren nach dinem vermúgent. [16] Si sol sin zuͦ dinem obersten in aller gehorsame und dienstberkait ǎne widerdriesse und zuͦ dinem undertǎn mit frúntlicher straffunge und wissunge. [17] Uͤbe dich | (119vb) ǒch mit lesen guͦtter ding und lerne vast, daz du vernúnftig werdest. [18] Uͤbe dich mit guͦten werken, alz únser her sprichet in dem ewangelio: 'Si enpfahent iren lǒn'. [19] Und sprichet Jeronimus in ainer epistel ze ainer hailigen megde: Alz die arbait in dem wúrken und uͤben ie herter und groͤsser und strenger ist, alz der lǒn von got ie besser und loblicher und grǒsser ist. [20] Und darumb so lonet dir got grǒsser und klainner werke nach dinem verdienen und wúrkend und nach der mainung alle zit.


8

[1] Wie du dich, minende sele, zuͦ uͤbende und wúrkende alle zit wol verpfliechten solt, ǎne guͦte werke niemer sin solt, wil ich dich, fünfzehender alte, wol fúrbas leren. [2] Won alle die dinge, | (120ra) die man got in zit tuͦn mag, besliessent sich in wúrkendem leben. [3] Und mag ǒch nieman ain schǒwer werden, er sie denne vor ain guͦtter uͤber und wúrker gesin. [4] Die edeln und manigvaltigen fruht, die da wahset us ainem wúrkenden leben, die kan nieman gescheczen denne got allain. [5] Won es sprichet die glǒs úber sant Paulus epistel, daz úns got nit me lones git, denne alz vil wir guͦtter werk | (120rb) wúrkent und ǒch uͤbent, und seigen wir vil mit | (121ra) uͤbung guͦtter werke, wir fruͤhtent dester me ewiger niessung. [6] Und davon sprichet Gregorius: In dem himelschen orden gottes hǎnt únsere guͦtten werk ǎne underlǎsse iren braht und iren schray in gott. [7] Wir reden oder wir schwigen, wenne wir wol wúrken, daz ruͤffet vor got fúr úns mit ernst.


9

[1] In allen guͦtten werken und uͤbungen solt du dich vor zwain dingen wol huͤtten, sprichet Hugo von der betrahtunge, ains ist swermuͤtig pinlichait, wǒn damit erbitteret die suͤssekeit dez gemuͤttes, daz die guͦte uͤbung hinder slagen wirt, daz ander ist unendeliche bekorung und bekúmerunge, die verkerent und zerstoͤrent der herczen frid und guͦt schikung. [2] Húete dich vor in beiden, won sú sind schedlich. [3] Merk, was Haymo sprichet | (121rb) úber der tǒgen buͦch: Werke und arbait sind gemain guͦten und boͤssen. [4] Aber war gedulte ist ain besunder gabe der erwelten, und wa gedult nit bi ist, da werdent vil guͦtter werke zerstoͤret. [5] Aber reht und warhaft gedult ist, daz man der nehsten gebresten mitlidig ist, und die da boͤs und úbel lident, daz dis wil der lider luterlich minen. [6] Geschiht dir kain widerwertekait, die dich unlidelich dunket, sprichet Ambrosius von den ampten, daz solt du also liden, alz were dir nút geschehen von nature.


10

[1] Wilt du, minende sele, ain reht volkumener uͤber sin und ǒch wúrken nach dem aller nehsten, so merke etlich staffel der uͤbunge, die dich Johannes Crisostomus der guldin munt leret úber sant Paulus epistel an ainer predige und sprichet: [2] Der erste stapfe | (121va) ist, ob man unreht mit dir an vahet, daz solt du niemer gerechen und solt nút úbel wider úbel tuͦn. [3] Daz ander, daz du selber mit nieman uf erden kain unreht solt an vahen. [4] Daz dritte ist, der dir unfuͦr erzoͤget, den solt du nút in liden werffen, sunder du solt darinne in fride stǒn. [5] Der vierde stapfe ist, wer dir widerwertekait erzoͤget in kainerlaige sach, dem solt du dich gedulteklich erbietten. [6] Der fúnfte stapfe ist, daz du dich dem fúrbas erbietten solt, der dir ungemach tuͦt, denne er begeret. [7] Der sehste ist, der dich betruͤbet, den solt du nút hassen. [8] Der súbent ist, der dich hasset, den solt du liep hon. [9] Der ahtent, du solt dinem viend guͤtlich tuͦn. [10] Der núnde, du solt got fúr in bitten. [11] Erfúllest du die stapfel, so bist du wol ain volkumner und ganczer uͤber. [12] Davon redet | (121vb) die glǒsse úber sant Petrus epistel: Uͤbe dich mit guͦtter betrahtung, daz dir goͤtliche vermanung in lúhte, damit du dem rǎt gottes wol gevallest. [13] Ǒch solt du dich uͤben mit betten, daz du mit dinem gebette erwerbest umb got, des du begerent bist. [14] Also verdienest du mit wúrkendem leben den ewigen lon. [15] Dis alles leret úns der e genant Hugo und fúrbas me leret er úns, daz du von allen dinen uͤbenden guͦtten werken kainen ruͦm noch wollgevallen solt hon. [16] Und solt dich dester gerner uͤben, daz dir daz herlich und kospar zit ǎne nucz út vergange, darumb du gote sunder rechnung geben muͦst. [17] Daz sprichet er und hillet mit im daz hailig ewangeli, Jhesu Cristi ler.


11

[1] Din uͤbung sol ǒch willig sin, unge| (122ra) noͤtet. [2] Si sol sin froͤlich und ǎne truren, frige und ledig ǎne karghait, behende und snelle ǎne traikkait. [3] Andehtig und ernsthaft ǎne understǒn sol si alle zit sin und ǎne underlǎs ǎne alles verdriessen. [4] Und des du in werken erzoͤgen nút múgest, daz halt aber stetteklich in diner begird. [5] Dich leret ǒch Ysidorus in dem buͦch von dem hoͤhsten guͦt also: Kúnnest du oder múgest du dich in vil wúrkunge und uͤbunge nút erzoͤgen, so lebe doch ainvalteklich in dinen werken und ǎne súnde, daz ist dir vil núczer denne mit vil ungeordnetter uͤbunge dich selber verierren und verwerren. [6] Du moͤhtest dich ǒch in ainer tugent alz gar adenlich uͤben, daz es dir wirt ain volriches benúgen zuͦ dem ewigen leben, alz vil marterrer und bihter und hailig maͤgde | (122rb) erzoͤget hant. [7] Won Yeronimus in siner epistel ainer sprichet: Der tugent uͤbet uf dem hoͤsten in ainer tugent, der wirt aller ander tugent tailhaftig. [8] Er sprichet ǒch in ainer andren epistel: Mit uͤben ist dir kain arbait ze herte noch kain zit ze lange, ob du in der uͤbung ain reht und goͤtlich begirde hest. [9] Entwiche dir aber in der uͤbunge gnǎde und minne, so kumet vil lihte ain unendlichait in dich, daz dich des lones muͦrczen berǒbet; und daz zit scheczet man denn verloren und unvervangen.


12

[1] Ich lere dich ǒch, wenne du gedǎht hǎst in dinem herczen ain guͦttes werke ze uͤbende und ze volbringen, so solt du daz ǎne alles verziehen und ǎne ufslahen zehant fúrbringen dǎrumb, daz der kúndig verlaider, daz ist der boͤsse gaist, dich dez guͦtten werkes út irre, und du des uͤbe| (122va) ndens von siner boͤssen reten wegen von dem lǒn, der darus wachssen mag, út versumet werdest. [2] Merke ǒch, daz sich etlich uͤbent in grǒsser strenghait darumb, daz sú zitlichen lǒn und nucze enphahent, und daz gehoͤret nút zuͦ ainem goͤtlichem leben. [3] Etlich uͤbent sich, darumb daz sú fúrhtent, daz sú von got gebuͤsset werdent umb ir súnd, und daz ist ǒch nút volkumnú minne. [4] Etlich wúrkent guͦttú werke, daz in got gnǎd und minne gebe, daz si im dester bas gedienen kúnent und múgent, und die hont ainen guͦten grunt und tuͦnt ǒch wol. [5] Etlich uͤbent sich und wúrkent guͦtte werk mit allem ernst und mit irem vermúgen von herczen und von sele darumb, daz sú ains werdent mit gotte und got ains mit in, und die uͤbung ist die aller best. [6] Und rǎte ich dir, die jungsten zwo ze vol| (122vb) bringen mit allem dinem vermúgent, won es sprichet die glǒsse úber Ezechiels wissagunge, daz wir kain guͦt werk volbringen nút enmuͤgen, úns fúrkume denne die kraft des hailigen gaistes und sterke úns in dem wúrken bis uf sin ende.


13

[1] Wisse ǒch, daz du, minende sele, dester gerner dich uͤbent solt an allen goͤtlichen werken, won mit nút anders gewinnest du ewigen lone denne mit uͤbend. [2] Die glǒsse úber sant Peters epistel sprichet: Diz sind reht wúrker und uͤbe r, die mit gedult lident versmehte worte, die da vertragent durch got, daz man in ir guͦt und ir habe abnimet, und die dǎ vil truͦbsal und jǎmer und nǒt an irem aigen lip úbersehent und vertragent und allerlayge liden willeklich und mit gedult lident. [3] Mit sollicher wise lernest du uͤben | (123ra) und guͦtte werk wúrken und geduldig sin in dem liden und volkumen sin in dem leben. [4] Alles daz uͤben und wúrken, daz in reht uͤbende gevallen mag, daz ist aintweders, in unvernúnftigen creaturen, daz du die vorhtsamklich mit gar grosser dankberkait niessen und nuczen solt in gottes lobe, und darnǎch dich selber uͤben ze dinem nehsten mit allem flis, mit rǎt, mit getǎt, mit helfe, mit lere, mit fúrderung und mit aller schlaht fúrsihtikait, mit warnung an sinem schaden libes und sele und mit handelung alz dich selber. [5] Und darumb so uͤbe dich an dir selber mit allem dem, daz du - in libe und in guͦt, in sele und in muͦt und in allem dem, daz dir got verlúhen het, liplich und gaistlich oder wie es genant sy -, daz du daz alles mit enander in gottes lobe und ere verzerest, im zuͦ ainem | (123rb) ewigen dienst und dir selber zuͦ ainem zuͦnemen in aller mine alle zit.


14

[1] Darnach uͤbe dich an dem aller besten wúrken, daz daz aller hoͤste und daz best ist und got daz nehst. [2] Und ist, daz du dich mit ainem ganczen kere kerest ze got und in got und in andǎht und in ernst, in ufklimen ze got, in jubelieren, in contemplieren, in suͤsser betrahtunge - nun von siner guͦtten menschait, nun von sinem liden, von dem anvang bis an daz ende und waz darzuͦ gehoͤret, darnǎch von siner zarten und vinen clǎren gothait und minricher ewiger ystikeit -, und alz du der uͤbung ie me und ie me tribest, alz dir got ie lieber und lieber und ie bas lustiger und lustiger wirt, solich wúrken moͤhtest du alz adelich und inneklichen uͤben, daz du in der uͤbunge ain schǒwer moͤhtest werden in got.


15

[1] Hoͤre, wie dich Gregorius | (123va) leret in ainer omelie. [2] Er sprichet: Es ist nút alz grǒs ze scheczende, daz der lip uswendig wúrket, alz grǒs daz ist, daz daz gemuͤte inwendig vermag und ǒch wúrket. [3] Won diz welt versmahen und zergenglich guͦt nút minnen, daz gemuͤte inneklich in demuͤtekeit got ze erbietten und dem nehsten underton sin, wider unwúrtschait gedult hon, den smerczen der boshait von herczen triben, daz almuͦssen mit armen lúten tailen, fromdes guͦtes sich nit underwinden, den frúnt durch got liep hǒn, den viende in got minnen, von dem twangsal dines nehsten truren und liden hǒn und von dem tǒde dines nehsten dich nút frǒwen - dis allez kumet von innen wúrken und machet us dem menschen ain núwe creature nǎch goͤtlichem wolgevallen. [4] Es ist der mensche nit ain guͦt wúrker noch | (123vb) ain volkumen uͤbe r, der under den boͤssen in sinen guͦtten teten nit liden wil noch kan und der den boͤssen nit liden wil noch kan noch mag. [5] Ez sprichet Boetius ain lere und hillet mit im Tulius: Waz der mensch ǎne underlǎs uͤbet, da wirt er in wol croigieren und gewinnet; sunderlich wenne er es bringet in ain guͦt gewonhait, so wirt es im lihte und lusteklich ze wúrken. [6] Es sprichet Vegecius in dem vierden buͦch von dem ritterlichen guͦt: Alle kunst und antwerke nement zuͦ noch vil me, uͤbest du teglich und ǎne underlǎs, so wúrst du hailig.


16

[1] Also lere ich fúnftzehender alte dich, minnende sele, wúrkend leben ǎne underlasz uͤben, daz du den guldin trone goͤtlicher gezierde damit pris| (124ra) est. [2] Und volgest du mir, so wúrst du in mit wúrkendem leben eweklich besiczen, alz ich dich geleret hǒn in gemain und in sunderhait.


Zitierhinweis

Der fünfzehnte Alte. In: Otto von Passau digital, hg. im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Lydia Wegener, Elke Zinsmeister, Jens Haustein und Martin Schubert (2018-2022). Berlin. 03.03.2023

URL: https://otto-von-passau.de/chapter-detail.html?id=O2011459. Abgerufen am: 29.03.2024.