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Der neunzehnte Alte

Leithandschrift
Ka1 Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. St. Georgen 64
Kontrollhandschriften
Ka2 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Donaueschingen 241
Ka3 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Donaueschingen 242
St3 Stuttgart, Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. 2° 144

Der neunzehnte Alte


1

[1] Ich, der xviiii alte, lere und wise uf gaistlich leben, waz es sie und wie man sich dem boͤssen gaist nút sol lǒn irren gaistlich ze leben; darnach von vil núczer wise, die zuͦ ainem gaistlichen leben gehoͤrent.


2

[1] Trostlicher und usserwelter und usserlesner lere vil hand dir, minende sele, geben die alten vor mir, damit du din leben gancz und gar keren und ordenen maht got zuͦ ainem wolgevallen nach aller hailikeit und ǒch den guldin trǒne herlich damit ergesten und wol zieren. [2] Aber ich núnczehender alte sol dir, minende sel, loken und dich ziehen und wisen uf ain gaistlich leben, daz dich sterklich und wislich fúrderen mag zuͦ dem guldin trǒne des almehtigen herren und des ewigen kúnges der gothait.


3

[1] Ain gaistlich leben hǎnt des ersten erdǎht die hailigen vatter der alten e und gevielen got darinne wol, alz wir vil lessen von patriarchen und propheten. [2] Aber nieman het es adelicher gefret und volbrǎht denn únser herre Jhesus Cristus und darnach sin muͦter Maria und sin erwelten júngern und darnach die hailigen vatter, die da mengerlayge herten orden gestiftet und gemachet hant, damit si die menschen mit gaistlichem leben inneklich und selekliche in hailikeit zuͦ got wolten ziehen. [3] Gaistlich leben leret uns únser herre Jhesus Cristus in dem ewangelio, da er sprichet: 'Der nach mir kumen wil, der verlǒgene sin selbes und neme sin crúcze uf sich und volge mir nach.' [4] Dis solt du also verston: Verlǒgen din selbes in dem alten leben und nim ain núwes leben an dich, daz got wol gefaͤllig sig und nach gottes willen geschaffen si. [5] Won es sprichet Gregorius úber sant Matheus ewangelium: Der mensch, der sin selbes nit verlǒgent, der mag nit ain gaistlich leben gefuͤren noch ze dem nit komen, der ob im der hoͤhste ist. [6] Und git des ain solich bizaichen, daz der wilde bǒme in sinem aigen ertriche nit guͦt fruht mag bringen, er werde denne in ain ander ertrich gepflanczet und gezwiget, also mag in sinem alten leben nieman gaistlich werden, er neme den ain núwes leben an sich. [7] Und darumb so verlǒgent der mensche sin selbes, der sich verwandelt in ain besser leben und der sich muͦrczes keret von dem, daz er vor gewesen ist. [8] Ain gaistlich mensche muͦs och daz crúcz uf sich nemen in mengerlaͤige liden und widerwertekeit, der sich gaistlich leber und leberin in versmehter wise entlidigent nút enmúgent noch soͤllen, alz Jhesus Cristus in gaistlichem leben und wandel durch únsern willen aller maiste durchliten wart gar vil.


4

[1] Ich núnczehender alte lere dich, minende sele, gaistlich leben. [2] Voran solt du wissen, daz es ist gehaissen, alz sprichet Ysiderus, ain widerkere zuͦ ainem got, damit wir únser selan keren in daz bant goͤtliches dienstes ze volbringen ǎne underlǎs. [3] Es sprichet ǒch Tulius in dem buͦch von den goͤttern, daz gaistlichait ist ain erwirdig erbietunge, damit man uͤbet goͤtlich loblichait, und die wirdekait gottes davon gemeret wirt. [4] Wisse ǒch, daz alles gaistlich leben und orden sind gestifftet uf gehorsame, uf armuͦt und uf rain kúschait. [5] Und den hailigen orden und dis gaistlich leben het gestiftet und gehalten Jhesus Cristus an sinem libe und an sinem leben fúr alle menschen, und darnach sin aigen muͦtter Maria, alz der zwelfte alte vor mir wol beweret het. [6] Jhesus Cristus was dem vatter von himelrich und allen menschen gehorsam bis in den tode darumb, daz ǒch wir gehorsam wurden siner goͤtlicher lere. [7] Er was arme in siner geburt, in sinem leben und in sinem sterben darumb, daz úns zitlich schecze von im nit schaiden. [8] Er was ǒch kúsche und von ainer kúschen und rainen magde geboren darumb, daz wir úns in rainkait flissen im ze dienen nach sinem wolgevallen. [9] Und in solicher ordenung beslússet man daz hailigest leben und daz gaistlichest, daz der mensche in zit gehon mag, won es ist Jhesus Cristus orden gewessen.


5

[1] Und davon so sprichet Jakobus in siner epistel: 'Ain rain und unvermelget gaistlichait ist, daz man sich húten sol unvermelget vor der boͤsen welte.' [2] Es sprichet Hugo von sant Victor in dem buͦch von dem kloster der sel, daz man gt durch gottes willen tailent, daz machet den menschen guͦt, daz man sich aber von der welt muͦrczet brichet, daz machet den menschen noch besser, daz man sich aber alle zit flisset gaistlich ze leben, daz machet den menschen aller beste. [3] Won die welte ist den guͦten menschen ital boͤsse, aber gaistlich leben ist boͤsen menschen guͦt, won es machet si guͦt und machet die guͦten menschen noch besser und die bessern machet gaistlich zuhte aller beste, und daz geschiht, wenne got den menschen inwendig ermanet mit sinen gnaden. [4] Er sprichet ǒch fúrbas in dem selben buͦch: Gaistlicheit ist ain usbunt und ain úbertreffen armer lúte, den mitteln ain benúgen. [5] Es ist den richen lideklichen, den siechen milte, den zarten mitlid ig, den starken messig, den rúwern barmherczig, den freveln scharpf und den guͦten aller beste. [6] Und daz sind die guͦtete gaistlicher zuhte.


6

[1] Ain gaistlich mensche sol sinen gaist mit enander gancz und gar in gottes gaist ordenen und keren, won got ist der hoͤhste und der edelste gaist. [2] So sol sich der mensche flissen, wie er mit sinem gaist gottes gaist in allen sachen ain benúgen sig, und daz geschiht ie me und ie me und bas und bas, wenne er sich onet grosser und zerganglicher dinge, alz sanctus Paulus leret. [3] Ain gaistlich mensche sol sich empfroͤmden aller weltlicher und zitlicher unmuͦss und zergenglich geschepft ledig ston und wirtschaft und hǒfelin und gebraͤcht und unfuͦr sol er hassen und fliehen, alz Jeronimus leret in siner epistel ainer. [4] Ain gaistlich mensche sol sin hercze nieman veraigenen noch geben denne got alain und sol sines herczen wol pflegen und huͤten und warnemen, alz der akerman sines akers tuͦt, der daz unkrut us rútet und darnach dunget und darnach seyget und neczet, bis der aker fruht bringet. [5] Er sol súnde us rúten und darnach dungen mit andaht und darnach darin seygen goͤtlich vermanunge und gnade, bis daz er ze der fruht kume, daz er gottes gaist in sinem gaist gancz enphinde, alz Agelius leret in siner buͦcher ainem. [6] Ain gaistlich mensche sol ordenlich leben zuͦ im selber und mit flisse sines aigens wandels warnemen in den ǒgen gottes und sines nehsten und sich vaste húten vor súnden, vor argwon, vor ergerunge vor sinem nehsten ebenmenschen. [7] Úns leret Bernhardus an ainer predige: Es sol ǒch ain gaistlich mensche sich sinem ebenmenschen zuͦteteklich erzoͤgen also, daz er in minne und ǒch von im widerumb geminnet werde und sich im húbschlich und lieplich erzoͤgen und gedulteklich gegen im alle widerwertekeit ablǒn und verzihen. [8] Dis leret ǒch Bernhardus in siner predige ainer.


7

[1] Ǒch sol ain gaistlich mensche demuͤtekait hon, mit der es den boͤssen gaist vertribe, der in allen guͦtten dingen, die got loblich sind und dem menschen helflichen, ain verwierrer ist. [2] Es sprichet Bernhardus und schribet in ainer epistel ainem apt von sant Dionisien, daz zuͦ ainem gaistlichen leben gehoͤret, und sprichet: Ain gaistlich mensche sol swigen halten, won swigen rainget die zungen von súnden und worten. [3] Es sigen woͤrter in sweren, in schelten, fluͦchen, in torhait, in úppekeit, mit mússigen spotworten und verlassenen worten oder wie si genant sient, daz doch alles swigen fúrkumet. [4] Es gehoͤret ǒch zuͦ ainem gaistlichen menschen psalmen betten; dabi man verstat aller hand gebette, daz von got und von der hailigen cristenhait geordenet ist. [5] Da sol der gaistlich mensch zuͦ geflissen sin. [6] Im gehoͤret ǒch zuͦ wachen, daz er sig munder in der nahte, daz in boͤsse bekorungen des boͤssen gaistes in fulkait út betriegen. [7] Er sol ǒch vil vasten, daz die boͤsen gelúste des boͤssen flaisches an im erleschent. [8] Wúrken sol er mit den henden, alz es sich haischet, alz sant Paulus tet, daz in der boͤsse gaist út mússig fund. [9] Rainkait des libes sol er hǒn in aller huͦte, daz damit erfúrbet werden sin fúnf sinne von unsuberkait - sehen, hoͤren, enpfinden, griffen und smeken. [10] Ist der gaistlich mensch daran wol versehen, so ist sin gaistlich zuht wol besorget und gesichert. [11] Darumb so sprach ain alte vatter: Gaistlicheit ist wúrken, betten, wachen, gehorsam sin, betrahtung von got, nieman urtailen noch hinderreden noch froͤmde mere gern hoͤren und nút unbehuͦt sin. [12] Daz ist gaistliches lebens arte und aigenschaft.


8

[1] Ain rehter gaistlicher mensch sol sin alz ain tot mensch. [2] Wen ain mensche sterben wil, so seczet er sin selgerete. [3] Got seczet er sin sel, den libe seczet er der begrebnússe, sin habe sinen frúnden und machet darúber usriehter des selgerettes. [4] Darnach verlúret er sin naturlich hicze und varwe. [5] Darnach mag er sin sinne nit nuczen. [6] Darnach stirbet er und lat sich tinsen, war man wil, und git man im ain ainig, demuͤtig klaide, daz im sinen lib verdeket, und leget in denne in daz grab und wirffet man erden und eschen úber in. [7] Dis wise sol alle ain gaistlich mensche an im hǒn. [8] Wenne er gaistlich leben an sich nemen wil, so sol er sin leben dar in gen genczlich und sol sin sel voran fúr aigen seczen got ze selgereitte gancz und gar, sinen libe dem clǒster oder gaistlicher wonnung enpfellen, daz zitlich guͦt und sin habe der welt oder sinen frúnden enphelhen oder durch got armen lúten geben und den gottes frúnden mit tailen. [9] Sin usriehter sond sin obresten und sin prelaten sin. [10] Darnach sol er verlieren hicze und varwe, daz ist, aller siner frúnde troste sol er sich verwegen und weltlicher froͤde und liplicher gelúste sol er aller ledig ston und alles, daz in goͤtliches wúrken und schǒwen geieren múg. [11] Er sol ǒch darnach siner sinne nit nuczen, denne daz er sin gesiehte und gehoͤrde und ander sin sinne in gaistlicher und in erwirdiger huͦte und pfliehte haben sol. [12] Darnach sol er sinen willen also ersterben, daz er sich sol tinsen lǒn, war man wil, daz er weder gǒn noch ston sol noch kainerlayge wisse anfahen noch tuͦn noch lǒn, den mit sinem obresten und prelaten willen und wise. [13] Er sol ǒch verdakt sin mit demútigen und gaistlichen klaidern, die nit kostber sind, damit er alle sin gelider behuͦtlich sol verdeken also, daz kain ergerung von im kume. [14] Darnach sol er begraben werden, daz ist, daz er in sinem clǒster oder celle oder in ainer andren gaistlichen wonung verborgen sol sin, da er aller weltlicher wise und súntlichem leben zemale entrine, murczes gancz und gar ledig stǒn. [15] Und was erden und eschen úber in gewerffen wurde von unfuͦr und von widerwertekeit und von allem liden, daz sol er gedultteklichen liden mit willen. [16] Tuͦt er dis, so ist er wol gaistlich.


9

[1] Von dem gaistlichen menschen sprichet sant Paulus in ainer epistel: 'Si sind tot, aber ir leben ist mit Cristo verborgen in got.' [2] Es sol ǒch kain gaistlich mensche die toten nit wainen noch klagen, won daz were ain ungeberde. [3] Er sol aber fúr der toten selen endlich und ernstlich bitten und got loben, daz er von der boͤssen welt entlediget ist, sprichet Hugo in dem buͦch von dem clǒster der sele. [4] Gaistlich leben lit daran aller maist, daz man got ǎne underlǎssen mit ernst sol dienen und daz die prelaten und obersten iren undertǒn mit flisse húeten und die undertǒn iren obersten mit flisse demuͤteklich mit andǎht gehorsam sin, die alten personan andaht pflegen, die jungen arbaiten. [5] Gaistlich menschen súllent sin erber an klaidern und messig an essen und trinken, vil und dick in dem clǒster beliben und gar selten under die lúte wandlen. [6] Kluͦghait und húpschait sond si sich onen und sich alles frides flissen. [7] Vil soͤllent si betten und wenig slaffen, in der kilchen und an gewihten stetten den hailigen ere bietten und kainen sinne legen weder uf ere noch uf guͦt geschefte. [8] Nach der welt sond si ledig stǒn und sich damit nút bekúmern. [9] Daz sprichet der und hillet mit im Augustinus von dem leben und regel der phaffen.


10

[1] Lerne ǒch von mir núnczenhender alten, du minende sele, daz es gar vil geschiht, wenne ain mensch gaistlich werden wil oder in ain clǒster varen wil, alz es von dem hailigen gaist dicke vermanet wirt gaistlich ze werden, und sich von der verkerten welte brechen wil, so prediget im der boͤsse gaist vil irresalung an, wie er den menschen des guͦten fúrsaczes und der goͤtlichen manung geieren muͤg, und machet im alles gaistlich leben swere. [2] Aber da sol sich der veste und gestanden mensche nút an keren und sol got ze hilf nemen, daz er im keklich und vesteklich widerstrebe. [3] Der boͤse gaist prediget im des ersten an krankhait und bloͤdekait siner nature, daz sú gaistlich leben nút geliden múgen, und darnach herte ungeschaffne klaider und herte betstat und scharpfe legerstat, vil wachen und unruͦweklich slaffen, krank spise und úbel essen und trinken und vil vasten und betten, daz des menschen nature alles grúlichen krenket. [4] Er prediget im ǒch an scharpfhait der prelaten und undertenikeit der obersten und zwungenhait des clǒsters und versmaͤhait der lúten und erlaidet im alles daz, daz got ain herlich lobe und dienst were und der sel ain verdienen ewiges lebens. [5] Und darumb sol sich kain endelich und vernúnftig mensch an des boͤssen gaistes rǎte nút keren. [6] Won es sprichet Hugo: Es ist vil weger goͤtlicher ermanung ze volgent denne des boͤssen gaistes predigen, und ist gaistlichen lúten ringer ain kutten ze tragen durch gottes willen, denn den weltlichen menschen durch der welt willen ain swere banczer ze fuͤrent. [7] Und ist vil sichrer in der kilchen endlich ze betten, denn uf dem veld herteklich mit swerten stritten und vehten. [8] Es sprichet Ysidorus in dem buͦch von dem hoͤhsten guͦt: Wenne sich hailig lútte verwegenlich von der welte brechent und dem boͤsen gaist krefteklich widerstǒn, so werdent lustelich alle gaistliche werke durch gottes willen anzevahen. [9] Es geschiht ǒch vil, daz der boͤse gaiste etwenne den menschen betrúget gaistlichen schin an sich ze nemen oder in cloͤster ze varen oder in orden ze kuͦmen, daz er sú mer bieggerie und glichsenhait und ander súnde in gaistlichem schin an vihtet und si vellig machet, denn ob si bi der welt beliben. [10] Und darumb so ist ain ieglich súnde in gaistlichem schin schedelicher denn in slehter wise. [11] Und davon sprichet Jeronimus in ainer epistel: Du solt also leben und wúrken in ainem gaistlichem schin, daz du eweklichen lǒn verdienest und nút versumest noch ewigen fluͦch verschuldest, und volge den aller hailigosten, bi den du wonest. [12] Und der dich ruͤmen welle, daz empfah fúr ain gespoͤtte, der dich straffe, daz lid gedulteklich. [13] Nieman solt du hinder reden und solt dich selber nút fúr hailig scheczen, won der boͤse gaist fúrhtet nit din vasten, din wachen, din kúschen rainkait, won damit het er vil menschen betrogen, aber goͤtliche minne erzaigen von innen und von ussen in aller demuͤtikait kroͤnest du mit gaistlichem schin. [14] Der kan golt und silber nút hǒn, der die welt nit kan versmahen. [15] Daz sprichet der und hillet mit im Gregorius in ainer predige und ǒch Bernhardus.


11

[1] Wisse ǒch, daz gaistlich leben verhoͤnent und verderbent súmig prelaten und unendlich maisterschaft, frevel und ungehorsam undertǎn, verruͦchet alten und jung muͤssiggenger. [2] Gaistlich hoffart und hofhait, vil gescheftes nach weltlichen loͤffen, kostbare klaider und herlich essen und trinken und unfrid ze dem nehsten hǎn und verlassenhait in der kilchen - vor solichen alaster und unfuͦr solt du dich huͤten, wilt du gaistlich leben hǒn, sprichet Hugo in dem buͦch von dem clǒster der sele. [3] Von dem unendlichen gaistlichen menschen leret únser herre Jhesus Cristus in dem hailigen ewangelio und sprichet: 'Huͤtent úch vor den valschen propheten, die da kument zuͦ úch in scheffinen klaidern, inwendig sind si alz zukent wolfe. [4] Bi ir frúhte so erkennent sú. [5] Es mag ain boͤsse bome nit guͦt fruht bringen, noch ain guͦt bome boͤse fruhte.' [6] Daz solt du also verston, daz die boͤsse propheten sind, die gaistlichen schin úppenklich an sich nement, noch weder gottes ere noch menschen nucze, lere noch gnad noch minne noch vorhte da nit ist, und suͦchent ain krank beholfenhait nach zitlichem niessen. [7] Aber inwendig sind si betrogen nach der mainunge und nach guͦter consciencie, alz es sich bewiset an ir fruhte, die alle zit betrogen ist. [8] Hútte dich vor in, si gebietent vil guͦtes ze tuͦn, dez si selber nút tuͦnt noch uͤbent, und hond hunig in dem mund und galla in dem herczen. [9] Von dem sprichet Ysideros in dem buͦch von dem hoͤhsten guͦt: Der sich offent nach ainer erzoͤgung gaistlicher saͤilikeit und doch an siner consciencie betrogen ist, der ist nút ain júnger Cristi, er ist aber ain nachvolger der boshait, won er suͦchet nit got, er suͦchet me der welt ere und sin aigen ewig crúcze mit arbait. [10] Und sprichet Bernhardus úber der minne buͦch: Was geschiht ǎne guͦtten willen, ǎne luter consciencie und ǎne gaistlichen gunste des ewigen vaters, daz ist allez úppig und ǎne allen lǒne und ist ain trugenúste, wie wol daz si. [11] Alz Cassiodorus sprichet úber den salter, daz gaistliche begirde nút alain liget an andaht des libes erzaigunge, es lit ǒch vesteklich an haimlicher volkomenhait dez herczen.


12

[1] So wise ich núnczehender alte dich, minende sel, aber fúrbas, daz etliche menschen gaistlich leben an sich nement mit worten, mit werken und redent von gar hohen sinnen, der sú doch geste sind in erzoͤgung und in hailigem uͦben. [2] Sú wandelent ire klaider in gaistlichem schin, so sprichet Prosper von dem schǒwenden leben, aber ir gemuͤt belibet weltlich. [3] Si straffen offenlich der welt gebresten und wellent si doch haimlich nút miden noch in irem grunde goͤtliche werke nút uͤben. [4] Si tragent ir alt leben in irem herczen und wellent von nieman kain straffung liden. [5] Si sind in irem grund noch ungelǒn und fuͤrent ain falsche gaistlich erzoͤgung. [6] 'Huͤtent úch vor in' sprichet únser herre in dem ewangelio, 'waz si úch lerent, daz haltent, aber an ire werke sond ir úch nút keren.' [7] Es machet ǒch weder kutten noch stat noch zit noch grǎwe klaider noch swarcze den menschen gaistlich, won es ist unverfangen in cloͤstern, in closennen und in andren gotes huͤssern und gaistlichen wonunge weltlich leben fuͤren. [8] Won es sprichet Cesarius in siner vermanunge: In gaistlich orden varen ist ain volkomen leben, aber darinne unvolkumenlich und weltlich leben ist ain verdampnúste.


13

[1] Hest du ruͦwe an dem libe und ist din hercze vol ruͦme und unfride und untugent, so bist du vor got nút ain gaistlich mensche. [2] Es gehoͤret zuͦ ainem gaistlichen menschen, alz Eusebius sprichet in ainer bredige, versumunge dines libes ruͦwe, begirde der arbait, flúchunge boͤser gelúste und ungedult an den eren, armuͦt an guͦt und richtuͦme an der consciencie, demuͤtig an lone verdienen und hoffertig wider alle untugende. [3] Daz machet dich gaistlich leben hǒn.


14

[1] Úns leret Anshelmus, daz gaistlich leben got vil werder und genemer si denne kain leben, daz man geuͤben mag, und beweret daz mit aim soͤlichen bizaichen: [2] Zwai menschen hond zwen boͤme und git ainer under in sinem herren nun die fruht alain von dem bome, aber der ander git dem herren fruht und bome mit enander. [3] Und der ander ist vil me ze ruͤmen denn der erste. [4] Also mainet Anshelmus, daz der mensche vil me von got geruͤmet wirt und geminnet wirt, der sich mit libe und mit sele, mit tuͦn und mit lǎn, mit guͦt und muͦt und mit allen sachen, die man erdenken kan, die den menschen gaistlich machent, sich got git denne alain mit schine, won si stond nút wol bi enander in ainem gaistlichem leben. [5] Dabi merke, daz die weltlichen lúte betrogen sind, die da sprechent: 'Wir múgent mit únserm leben got alz wol gevallen alz múnche oder nunnen oder ander gaistlich lúte.' [6] Die moͤgent got vil lihte geben die fruͦhte vil guͦtter werke, aber den bome des aigens willen behaltent sú in selber. [7] Es were zemale ain grosse torhait, daz ain mensche diser welt verlǒgente aller dinge und vatter und muͦtter und alle sin frúnde uf gebe und was er besessen het oder gelaisten moͤht in zit und gaistlich werden welt und doch dabi kainen muͦtwillen welt lǒn in gaistlichem leben, alz were er bi der welt beliben. [8] Dis were kain gaistlich leben und were ain betrogenhait sin selbes. [9] Du solt dich aber gaistlich scheczen, wenne du dich den aller minsten scheczest und den unendlichesten und den aller undemuͦtigesten. [10] Unschuldiges lebens solt du sin in der zit. [11] Haltest du die lere also, so scheczet dich got, daz du ain gaistlich leben hest.


15

[1] Wisse ǒch, daz der menschen gar vil ist, die zuͦ gaistlichem leben nút vervahent, alz Ciprianus schribet in dem buͦch von den zwelf unnúczen: [2] Die ersten sind die, die da wise sind nach der welt lǒffe und doch kain wise werke in goͤtlichem dienste niemer erzoͤgent. [3] Die ander daz sind die menschen, die alten, die alle ir tage uppenklich und unnuczelich got und in selber ir zit verzert hond, die enschulgent sich mit den gebresten und krankhait, die si an vallent von alters wegen, daz si nút gaistlich múgent werden. [4] Die dritten sind junge frevel und ungestuͤme menschen, die gehorsami und straffunge von nieman wellent liden. [5] Die vierden sind rich lúte, die armen menschen niemer kain almuͦssen durch got gend won; ir guͦt ist ir got. [6] Die fúnften sind arme hoffertige menschen. [7] Won wer in armuͦt hoffart erzaiget, der mag in gaistlichem leben nút demuͤtig werden. [8] Die sechsten sind cristenlúte krieger. [9] Won gaistliche zuht wil fride hǒn, alz úns Cristus geleret het. [10] Die súbent sind man und frǒwan, die ǎne scham sind und sich weder vor got noch vor den lúten schament ze súnden. [11] Die ahtend sind kúnig und fúrsten, die ǎne wishait sind und unerbarmherczig und unstraffenlich. [12] Die núnden sind herren ǎne tugent. [13] Die zehenden sind bischoff und prelaten ǎne fúrsihtikait. [14] Die ainlften sind menschen ǎne alle zuhte und die gottes gebotte noch geseczten nit enachtent. [15] Die zwelften sind menschen ǎne sinne und toͤbig lúte. [16] Daz sprichet alles Cyprianus und hellent mit im der lerer vil.


16

[1] Wer in diser welt sorglich lebet, der sol fliehen in ain gaistlich leben und darinne sin sele behalten. [2] Und wen er sich gaistliches lebens angenimpt, so sol er es mit flisse volbringen nach goͤtlichem lob und sol sich huͤten, daz er nút treͣge noch fule darinne sie alz ain unendlicher kneht und sol volle fuͦren mit ernst, daz ich davor geleret und gewisset hǎn, so bringet im gaistlich leben ewigen lone und ǒch daz aller best verdienen bi got. [3] Dem gelich rattet úns Bernhardus in ainer predige und sprichet: Fliehent zuͦ den búrgen aller sicherhait, daz ist in ain gaistlich leben, darinne ir muͤgent von dem vergangen leben úwer súnde berúwen, besseren und buͤssen, darinne ir in disem gegenwirdigen leben gnad und minne und ewigen lone verdienen múgent, darinne ir in dem kúnftigen leben ere und selikeit besiczen werdent. [4] Und lond úch nút irren den boͤssen gaist und lond úch úwer súnd nút hindern und lond úch úwer frúnd noch die gelúste dirre welt nit abwissen noch hinder ziehen, so vindent ir den trost, der úch eweklich berait ist. [5] Also lere ich núnczehender alte dich, minende sel, ain gaistlich leben fuͤren, alz es únser maister Jhesus Cristus gefuͤret und geuͤbet hǎt in zit durch únser lerunge und vermanunge wegen und willen, der da selber gesprochen het in dem hailigen ewangelio: [6] 'Ich bin der weg, die warhait und daz leben.' [7] 'Ich bin der weg des guͦten bildes und bin die warhait in der gelúbde und daz leben des lǒnes. [8] Ich bin der weg, der da wiset zuͦ der warhait. [9] Ich bin die warhait, die da wiset zuͦ dem leben. [10] Ich bin daz leben, daz dir bringet die ewigen fruhte.' [11] Und dis alles machet dir ain gaistlich leben. [12] Volgest du im, so maht du den guldin trone herlich gezieren, alz ich dich manigvalt und herlich und wol geleret hǒn.


Zitierhinweis

Der neunzehnte Alte. In: Otto von Passau digital, hg. im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Lydia Wegener, Elke Zinsmeister, Jens Haustein und Martin Schubert (2018-2022). Berlin. 03.03.2023

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